In deutschen Krankenhäusern fehlen inzwischen rund 100tausend Pflegekräfte und bis zum Jahr 2030 rechnet man mit 300tausend. Relativ niedrige Löhne, die Arbeitszeiten, Stress bis hin zum Burnout lassen viele den Beruf aufgeben. Und mit jeder fehlenden Fachkraft nimmt der Stress für die Verbliebenen zu.
Seit einigen Jahren werden im Ausland Pflegekräfte angeworben: aus den Philippinen, aus Vietnam, Mexiko und anderen Ländern. Arbeitsminister Heil und Außenministerin Baerbock waren diese Woche in Brasilien, um dort für Pflegekräfte zu werben. Es soll fair verlaufen, ein Gewinn für alle Seiten sein. Die Fachkräfte sollen gar in der Lage sein, ihre Familien in Brasilien zu unterstützen.
Der bisherige Erfolg an Anwerbungen ist mager, viele hauen wieder ab, gehen in andere Länder oder zurück in die Heimat. Während in Deutschland eine Pflegefachkraft sich um etwa 30 Patienten in einer Nachtschicht kümmern muss, so sind es in den Niederlanden und der Schweiz nur 18.
Aus Brasilien sind es bisher nur wenige hundert, die es nach Deutschland wagten, obwohl in ihrem Heimatland ca. 10% arbeitsuchend sind. Eine brasilianische Fachkraft hat ein achtsemestriges Studium hinter sich, während in Deutschland lediglich eine dreijährige Lehre absolviert wird. Sie haben also mehr Kompetenzen in ihrem Heimatland. Das weltweit geachtete öffentliche Gesundheitssystem SUS ist nicht gewinnorientiert, es gibt gut geregelte Arbeitszeiten. Die Pflegekräfte verdienen rund 3000 Reais, umgerechnet 600 €, was kein schlechtes Gehalt ist. Damit kommt man gut über die Runden. Dazu kommt, dass sie bei Eintritt in die Rente das letzte Gehalt weiter bezahlt bekommen, mit zukünftigen Steigerungen.
Das von deutschen Arbeitgebern genannte Gehalt klingt faszinierend für ausländische Fachkräfte. 2400 € brutto ist viel für sie. Aber wie hoch sind Steuern, Sozialversicherungen und andere Abzüge? Wie hoch sind die Lebenshaltungskosten, also Miete, Verpflegung etc.? Wie sieht es mit den Rentenansprüchen aus, wenn man mit 30 oder 40 Jahren nach Deutschland kommt und arbeitet?
Dazu kommt das Anerkennungsverfahren der Ausbildungsabschlüsse, die einige Zeit dauern. So lange können sie nur als Hilfskraft eingesetzt werden und verdienen entsprechend weniger. Vom Kollegium werden sie oft als als billige Arbeitskraft angesehen und entsprechend behandelt. Während deutsches Personal sich wegen Erschöpfung auch krankmeldet, tut dies ausländisches Personal nicht, aus Angst, den Job zu verlieren.
Wie will man also hunderttausende für die Arbeit in Deutschland gewinnen, die mühsam erst genügend Deutschkenntnisse erwerben müssen und dann unter miserablen Bedingungen arbeiten? Das ist schier unmöglich. Es ist notwendig, die Arbeitsbedingungen insgesamt deutlich zu verbessern, dann kehren auch manche Ausgestiegene wieder zurück in den Beruf. Und andere aus dem Ausland geworbene bleiben.
Wie soll das Gesundheitssystem ohne Pflegekräfte funktionieren? Bei Medizinern sieht es im Übrigen auch nicht viel besser aus.
Artikel hierzu:
Was brasilianische Pflegekräfte an Deutschland stört
06.06.2023 – Arbeitsminister Heil und Außenministerin Baerbock wollen in Brasilien Fachkräfte anwerben. Man wolle dabei sehr „sensibel“ vorgehen und nicht zu viele Pflegekräfte abwerben. Die Gefahr ist eher eine andere: dass kaum einer nach Deutschland will.
weiterlesen https://www.n-tv.de/…
Pflegepersonal aus Brasilien: Werbereise mit Geschmäckle
07.06.2023 – Es spricht nichts dagegen, Pflegekräfte aus Drittstaaten anzuwerben. Doch ohne deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen hier vor Ort wird das wenig helfen.
weiterlesen https://taz.de/…
Pflegekräfte aus Brasilien lösen nicht unser Problem, liebe Bundesminister
06.06.2023 – Wenn Deutschland besser planen und seine Arbeitnehmer besser behandeln würde, müssten Baerbock und Heil nicht im Ausland werben– was eh nichts bringt. Ein Kommentar.
weiterlesen https://www.berliner-zeitung.de/…
Fachkräftemangel: Warum in die Ferne schweifen?
08.06.2023 – Das medienwirksame Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland hat bisher wenig gebracht. Sinnvoller wäre es ohnehin, sich den Potenzialen in Deutschland zuzuwenden.
weiterlesen https://www.tagesschau.de/…
Bericht über sprunghaften Anstieg:
Deutlich mehr kranke Pflegekräfte
11.05.2023 – Der Krankenstand in der Pflege ist bereits hoch, im vergangenen Jahr ist er aber noch einmal sprunghaft gestiegen: Wie Daten der Techniker Krankenkasse zeigen, sind Pflegekräfte rund 30 Tage im Jahr krankgeschrieben.
weiterlesen https://www.tagesschau.de/…
Burnout-Risiko bei Pflegefachpersonen hoch
23.08.2022 – Psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit Burnout traten 2021 in Pflegeberufen fast doppelt so häufig auf wie in allen anderen Berufsgruppen.
weiterlesen https://aok-bv.de/…
Personalmangel in der Pflege verschärft sich weiter
Ein Großteil der Probleme in der Pflege sind auf mangelhafte Ausstattung mit Personal zurückzuführen. Über Jahre wurde vor allem an der Personalkosten auf Pflegestationen gespart. Die Folgen zeigen sich heute in eklatantem Fachkräftemangel und Überlastung des Personals.
weiterlesen https://www.pflegenot-deutschland.de/…
Hohe Bereitschaft zum Wiedereinstieg: Personalmangel in der Pflege ließe sich laut Studie stark vermindern
03.05.2022 – Viele ausgestiegene Pflegekräfte würden wieder in ihren Beruf zurückkehren. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen.
weiterlesen https://www.tagesspiegel.de/…
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