zum Unterzeichnen!
Erdogan und die Türkei – ein Problem, das uns nichts angeht?
Ein Appell an die Bundesregierung
Die letzten Tage haben die Türkei in eine Situation gebracht, der Europa und die Bundesregierung nicht mehr zusehen dürfen. Was dort geschieht, wird schlimme Folgen haben, nicht nur für die Türkei und deren Bevölkerung, sondern sich auch auf die Region und Europa auswirken.
Wer Erdogan schon von Beginn (2003 wurde er Ministerpräsident) an beobachtete, musste beunruhigt sein, verfolgte er doch einen religiös-konservativen Kurs, der den Staat ändern wollte und der auch im Konflikt zur Armee stand, die sich sich als Hüter der laizistischen Ordnung betrachtet. Blickt man etwas weiter zurück, so gibt es Äußerungen von ihm wie diese von 1998: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Für diese Äußerung wurde Erdogan auf ein lebenslanges Verbot politischer Tätigkeit verurteilt, es wurde jedoch wieder aufgehoben. (Fußnote 1)
Mit seinen Ideen der Islamisierung kam er insbesondere bei der Bevölkerung auf dem Land an, die konservativ-religiös geprägt ist, während in den Großstädten eine überwiegend modern geprägte Gesellschaft anzutreffen war. Die Stiftung Wissenschaft und Politik analysierte bereits im Jahr 2014 die Situation in der Türkei kritisch. (Fußnote 2)
Die gewaltsame Niederschlagung von Demos wie auf dem Taksim-Platz 2013 (Fußnote 3) ), war für Europa und die Bundesregierung kein Grund, etwas an der Haltung gegenüber der Türkei zu ändern. Zwar gab es nach den Protesten Forderungen auf Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen von führenden PolitikerInnen aller Parteien (u.a. SPD, FDP, CSU, CDU), doch dabei blieb es.
Im Juli 2015 erklärt Erdogan den Kurden den Krieg, legalen Parteien droht Repression und Politikern Verfolgung, was erneut keine Reaktion aus Europa zur Folge hat. (Fußnote 4)
Trotz der vielen Verdachtsmomente der Korruption, der Vetternwirtschaft, der Zusammenarbeit mit dem IS durch Ölverkäufe, freies Durchziehen durch türkisches Gebiet und mehr (Fußnote 5) war es für Europa und vor Allem für die Bundesregierung kein Thema, mit der Türkei Deals einzugehen, um den Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten zu stoppen und die EU-Beitrittsverhandlungen zu forcieren, trotz der Entwicklungen der letzten Jahre.
Im Frühjahr wurde der Türkei mehrfach von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vorgeworfen, mit Schusswaffen gegen syrische Flüchtlinge vorzugehen. Dabei gab es mehrfach Tote. Amnesty International warf der Türkei vor, immer wieder syrische Flüchtlinge nach Syrien zurück zu schicken. Die Türkei dementierte die Vorgänge und Europa war zufrieden. Stattdessen hätte den Berichten der beiden NGOs, die mit Sicherheit kein Interesse daran haben, falsche Behauptungen in die Welt zu setzen, ernsthaft nachzugehen. (Fußnote 6)
Nun gab es gab einen dilettantischen Putschversuch, um den sich viele Gerüchte ranken. Fest steht, dass dieser Erdogan in den Kram passte, er bezeichnete ihn als „Gottesgeschenk“. Er schaffte es, seine Anhänger zu mobilisieren, trotz der vom Militär verhängten Ausgangssperre auf die Straßen zu gehen und sich dem Militär in den Weg zu stellen. Seitdem werden kritische Stimmen unterdrückt, bedroht.
Und seit dem Putsch gibt es täglich mehrere Meldungen zu Handlungen von Erdogan. Er entlässt tausende, unter anderem im Bildungsbereich, verbietet Wissenschaftlern Auslandreise. Erdogan rief den Ausnahmezustand aus, er setzte die Europäische Menschenrechtskonvention aus, hetzt gegen Menschen, die nicht seiner Meinung sind und mobilisiert seine Anhänger gegen Menschen mit andere Meinung auf. Selbst in Deutschland wächst die Angst vor seinen Anhängern, die nicht zurückschrecken vor Drohungen und Gewalt.
Dass auch in Deutschland die Gewaltbereitschaft von Erdogan-AnhängerInnen steigt, der Präsident weder in der Türkei noch außerhalb zur Mäßigung aufruft, stattdessen weiter Öl ins Feuer gießt, sollte ein Alarmzeichen sein. (Fußnote 7)
Und was ist nun von der Bundesregierung zu hören? Bisher nicht viel mehr als ein paar Worte, nicht anders als in der Vergangenheit und die Erdogan bisher nicht davon abgehalten haben, seinen Weg zu gehen. (Fußnote 8)
Die Türkei erhält eine Heranführungshilfe (damit werden Länder unterstützt, deren EU-Beitrittsverfahren läuft). Im Zeitraum 2007 bis Jahr 2013 hat sie von der EU 4,8 Mrd. Euro erhalten, für 2014 bis 2020 sind weitere 4,45 Mrd. Euro eingeplant.(Fußnote 9)
Die Bundesregierung hat dringend Position zu beziehen!
Wir, die UnterzeichnerInnen forden die Bundesregierung auf, ganz deutlich öffentlich Position gegenüber der Türkei zu beziehen!
Sie muss Druck auf die Türkei ausüben, dass sie wieder zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden muss, dass es keinen Grund gibt, die Europäische Menschenrechtskonvention auszusetzen und anstatt die Situation weiter aufzuheizen, sie zu beruhigen hat.
Nur warnende Worte sind nicht mehr genug, es müssen nun Maßnahmen ergriffen werden:
- Die EU-Beitrittsverhandlungen werden auf Eis gelegt, gleichzeitig werden die Heranführungshilfen sofort gestoppt.
- Die Vertiefung der Zollunion wird gestoppt.
- Die Bundeswehreinheiten werden zurückgerufen und die Frage nach der NATO-Zugehörigkeit muss gestellt werden.
- Erdogan muss deutlich aufgefordert werden, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen und seine Anhänger zu mäßigen. Das gilt auch für die Anhänger in Deutschland, die nicht vor Drohungen gegenüber anderen zurückschrecken.
- Erdogan muss klargemacht werden, dass er damit auch die Ökonomie der Türkei gefährdet.
- Die Bundesregierung muss deutlich machen, dass in Deutschland Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist und Gewaltandrohungen oder Gewalt gegen MitbürgerInnen mit anderer Meinung strafrechtlich verfolgt wird.
Wir, die UnterzeichnerInnen, sind besorgt um die Menschen in der Türkei, aber auch was in Deutschland und Europa geschehen kann, wenn dem Ganzen nicht Einhalt geboten wird.
Erstunterzeichnungen:
- Ralf Henze (Ludwigshafen)
- Thomas Dyhr (KV Barnim, Bündnis 90/Die Grünen)
- Memet Kilic, ehem. MdB (Bündnis 90/Die Grünen) – Interview vom 31.07.2016
- Ulla Vilkman (Ratsfrau in der Fraktion der SPD, Brühl)
- Simon Lissner (KV Limburg-Weilburg, Bündnis 90/Die Grünen)
- Franco Clemens (Köln, Sozialarbeiter/Musiker/Radioredakteur)
- Rainer Deimel (Referent für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit beim ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V. , Datteln)
- Ulrike Löw (Referentin für Menschenrechte beim ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V., Münster)
- Klaus H. Walter (Bonn)
- Albert Klütsch (Schauspieler, Wesseling)
- Gerhard Breitkreuz (Dozent, Hamburg)
- Karl Mund (Fahrdienstleiter DR/DB im Unruhestand)
Fußnoten